Zum Kontext des Stücks
Aktualisiert am 06.02.2024
Ein autoritäres Russland führt Angriffskrieg gegen die Ukraine - einen demokratischen Staat. In diesem globalpolitischen Kontext führen wir ein Stück auf, das russische Geschichte behandelt. Den kritischen Aspekten dieser Entscheidung sind wir uns bewusst und möchten daher an dieser Stelle transparent sowohl unseren Umgang mit dem Musical darlegen als auch auf die problematischen Aspekte des Stücks aufmerksam machen.
Das Musical ANASTASIA beruht auf dem 1997 erschienen gleichnamigen Film. Im Zentrum des Musicals steht die Prinzessin Anastasia Romanowa, die nach der Oktoberrevolution 1917 ihr Gedächtnis verloren hat und nun ihre Identität sucht. Es zieht sie nach Paris, wo ihre Großmutter wartet, die noch Hoffnung hat, ihre verschollene Enkelin wiederzufinden. Gemeinsam mit den Halbganoven Wlad und Dimitri versucht sie 1927 das sowjetische Russland zu verlassen, während sie vom Offizier Gleb verfolgt werden.
Als der Stoff uraufgeführt wurde (2017 am Broadway, 2018 in Stuttgart) war bereits Krieg in der Ukraine. Schon 2014 unterstützte die russische Armee Separatisten im Donbass und hatte die Krim durch ein völkerrechtswidriges Referendum annektiert. Mit dem Angriff auf Kyjiw am 24.02.2022 und dem damit entfachten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist die Situation weiter eskaliert. Daher ist es uns wichtig, das Stück für unser Publikum historisch und dramaturgisch einzuordnen.
Der historische Kontext
Das Stück spielt zu drei Zeitebenen. Der Prolog findet im Jahr 1906 und 1917 statt. Der Großteil der Handlung 1927.
1906 waren die Zarenfamilie der Romanows noch weitgehend ungestört an der Macht. Zwar wurde im Oktober 1905 das Parlament - die Duma - vom Zaren einberufen, doch das Parlament hatte eher symbolischen Charakter. Zu einer wirklichen Demokratisierung kam es nicht, wie sich bereits 1906 zeigte.
“Im Jahr 1906 kam es bei den ersten Duma Wahlen zu einem deutlichen Sieg der Reformkräfte über die konservativen, zarentreuen Parteien. Daraufhin löste der Zar die Duma auf und begünstigte durch eine Änderung des Wahlrechts die Konservativen, die bei erneuten Wahlen dadurch die Mehrheit erhielten. So wurde die Duma bis 1916 weitgehend von zarentreuen Kräften beherrscht” (Hofen).
1914 trat Russland in den Ersten Weltkrieg ein. An der Seite von England und Frankreich kämpften sie gegen die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich). Einzig die Bolschewiki unter Lenin stellten sich von Beginn an gegen den Krieg. Mit dem Verlauf des Krieges und schweren Niederlagen Russlands sank die Unterstützung des Volkes für den Krieg. Hinzu kam große Armut und Hunger, der zu weiterem Unmut führte. Die Lage des Volkes war so prekär und der Unmut so groß, dass es dem Zaren nicht gelang, die Proteste einzudämmen und das Land zu stabilisieren. Als Resultat dankte er am 2. März 1917 ab. Sowohl Nikolajs Bruder als auch der eigentliche Thronfolger Alexej verzichteten auf die Krone. “Das Ende der Romanow Dynastie war, nach 300 Jahren Herrschaft über Russland, besiegelt” (Hofen). Im Oktober 1917 übernahmen schließlich die Bolschewiki unter Lenin die Macht.
“Die Russische Revolution gehört zu den Schlüsselereignissen der neueren Geschichte. Innerhalb von nur sieben Monaten, vom Sturz des Zarenregimes im Februar (nach dem Gregorianischen Kalender im März) und der erstmaligen Errichtung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung in Russland über die soziale Revolution in Stadt und Land bis hin zur Machtergreifung der Bolschewiki im Oktober (November), veränderte sich das Gesicht Russlands und der Welt” (Kappeler, S. 132).
Diese Zusammenfassung der russischen Revolution(en) ist sehr vereinfacht und soll nur einen Überblick geben. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat eine gute Zusammenfassung zusammengestellt.
Im Musical ANASTASIA wird ein Palast der Romanows von den Revolutionären gestürmt. Das Stück suggeriert, dass in diesem Kontext auch die Zarenfamilie ums Leben kam. Das ist nicht korrekt. Die Zarenfamilie wurde nach mehreren Stationen letztendlich ab April 1918 im Uralgebirge in Jekaterinburg unter Hausarrest gesetzt. Dort entschieden sich die Bolschewiki, die Romanows erschießen zu lassen, um den Gegenrevolutionären keine Symbolfigur zu überlassen. Schnell entwickelte sich vor allem außerhalb Russlands der Mythos, dass die Zarentochter Anastasia überlebt haben könnte. So gab es über einen langen Zeitraum tatsächlich Hochstaplerinnen, die vorgaben, die Zarentochter Anastasia Romanowa zu sein. Erst Anfang der 00er Jahre wurde durch DNA-Analysen bewiesen, dass die Zarentochter nicht überlebt hat. Die Grundprämisse des Musicals ist somit von Grund auf nicht historisch. Damit reiht sich das Musical jedoch in eine Reihe verschiedenster Interpretationen der überlebten Anastasia. Schon 1928 gab es eine erste Verfilmung.
Der Großteil der Handlung des Musicals spielt im Jahr 1927. Zu dieser Zeit ist die Oktoberrevolution zehn Jahre her. Das Russische Kaiserreich ist nun die Sowjetunion. Die Probleme des Volkes haben sich nicht großartig verändert. Zwar gab es mit Beginn der kommunistischen Herrschaft zunächst eine kurzzeitige Verbesserung. Jedoch waren der Hunger und die Suche nach Nahrung schnell wieder Teil des täglichen Lebens. Wie auch zur Zeit des Zarenreichs sollten Hungersnöte mit zahlreichen Toten auch weiterhin zum Leben in Russland gehören.
Tatsächlich ist das historische Thema des Musicals (die Oktoberrevolution und die Zarenfamilie um Zar Nikolaj II) ein Teil der russischen Geschichte, die Wladimir Putin ausklammert. Nikolaj II gilt als gescheiterter Zar, dem es nicht gelang das Land zusammenzuhalten. Die Oktoberrevolution ist eine historische Störung in den russischen Weltmachtsstrebungen. Denn mit der Revolution folgte nicht nur eine politische Umstrukturierung im Land. Viele Staaten erlangten die Unabhängigkeit – unter ihnen für kurze Zeit auch die Ukraine. Kein Wunder also, dass die Oktoberrevolution eine Art Gespenst unter Putin ist. Der SPIEGEL schrieb 2017 eine Einordnung und schloss: "Das Reich, dem Putin nachtrauert, kann es nur in der Fantasie geben und nur, wenn man jede genaue Erinnerung an den Epochenbruch von 1917 unterdrückt."
Wieso spielen wir ANASTASIA?
Vor der Produktion können alle Vereinsmitglieder der Musical Inc. Stücke vorschlagen, die in der kommenden Produktion gespielt werden sollen. Dieses Jahr waren es rund 100 - ANASTASIA eins von ihnen. Im Kreativ-Team sortieren wir dann zunächst Stücke aus, die nicht spielbar für uns sind. Zum Beispiel sind manche Stücke vom Orchester nicht zu besetzen, tänzerisch nicht möglich, von der Ausstattung kaum umsetzbar, von Regie-Seite wäre die Besetzung zu schwierig oder es gibt noch keine Rechte für Amateurgruppen. Dadurch werden die Meisten ausgesiebt. Am Ende stehen drei Stücke zur Auswahl. Der Verein stimmt ab und das Stück mit den meisten Stimmen wird aufgeführt.
Natürlich sind im Stückwahl-Prozess auch politische Debatten ein Thema. Immer wieder diskutieren wir zum Beispiel über Geschlechterrollen, da Musicals häufig sehr stereotyp sind. In diesem Kontext haben wir natürlich auch die politischen Implikationen von ANASTASIA in Bezug auf Russland einbezogen. Wir kamen zu dem Schluss, dass es vertretbar ist, dieses Stück aufzuführen.
Wie kamen wir dazu? Im Animationsfilm wird die Oktoberrevolution als Ereignis interpretiert, in der das gütige, glamouröse Zarenreich durch die brutalen Bolschewiki abgelöst wird. Die Revolution wird als Ereignis dargestellt, dass sogar nur von einer Einzelperson (Rasputin) ausgung, der durch einen Zauber seinen Hass auf diese Familie an das Volk gebracht hat. Das Musical hingegen beschreibt diese Revolution viel stärker als eine, die vom Volk ausging, um sich von den „Ketten der Romanows“ zu befreien. Wichtig für uns war, dass innerhalb des Stücks klar gemacht wird, dass beide Regime schlimm für das Volk waren. Zu Beginn der ersten großen Ensemble Nummer „Was man redet in St. Petersburg“ singt Dimitri: „Leningrad [Name unter sowjetischer Herrschaft]. Petersburg bleibt Petersburg. Neuer Name, selber Hunger.“ Es wird direkt deutlich gemacht, dass beide Regime schlecht für das Volk waren. In beiden Fällen hat das Volk gehungert. Unter beiden Regimen wurde das Volk unterdrückt.
Auch zum Ende wird deutlich gemacht, dass die glamourösen Romanows ein romantisiertes Märchen sind, an das man nicht mehr glauben soll. Totalitäre Regime haben keinen Platz mehr in unserer Welt: “Der Fall wird zu den Akten gelegt.” Anastasia nimmt eben keinen Platz im russischen Exil-Adel ein, sondern verschwindet mit Dimitri in der Ungewissheit.
Vor allem aber reizt uns die rein kreative Perspektive auf das Stück. Es ist simpel: Es gefällt uns. Die Musik ist toll und die Charaktere sind facettenreich. Es bietet viele inszenatorische Möglichkeiten, auf die wir uns freuen. Dabei ist es auch noch spielerisch, musikalisch, choreografisch und inszenatorisch anspruchsvoll. Dennoch möchten wir nicht leugnen, dass es problematische Stellen im Musical gibt. Zum Beispiel fanden wir die Liedzeile „Die Nacht ist für Russen gemacht“ äußerst problematisch. Gerade mit Blick auf den nächtlichen Angriff Russlands auf Kyjiw zu Beginn des Kriegs 2022. Mit diesen Stellen setzen wir uns ganz besonders auseinander. Wenn wir von Verlagsseite dürfen, passen wir den Text an. Wenn nicht, machen wir darauf aufmerksam, um diese eben nicht unkommentiert zu lassen.
Was haben wir bisher getan?
Zu Anfang der Produktion gab es eine intensive Recherche. Ein Teil der Regie hat 2022 an einem Dokumentarfilm zur russischen Propaganda mitgearbeitet – ein Grundwissen, auf das aufgebaut werden konnte, war somit da. Dennoch ist niemand im Kreativ-Team Russlandexpert:in. Daher haben wir uns Expertise von außen geholt. Dafür konnten wir Prof. Dr. Rainer Goldt (Slawistik) und Prof. Dr. Jan Kusber (Osteuropäische Geschichte) gewinnen. Beide lehren an der Uni Mainz und begleiten unsere Produktion beratend. Im Gespräch wurden auch Literaturhinweise gegeben, denen wir nachgegangen sind (vor allem In Putins Kopf von Michel Eltchaninoff und Ungleiche Brüder von Andreas Kappeler). Ersteres liefert einen Einblick in Putins Politik und “Philosophie”. Zweiteres lenkt den Blick auf die Beziehung zwischen der Ukraine und Russland. Mit diesem Stoff haben wir uns auch bereits im Probenprozess mit dem Cast auseinandergesetzt, damit auch dieser eine historische Einodnung ins Stück erfährt. Für eine sorgfältige Probenarbeit muss die Arbeit über das Textbuch hinaus gehen.
Was ist die Kernproblematik des Stoffs?
Letztendlich kann man vor allem zwei Problematiken in der Stückwahl sehen. Zunächst wäre die Frage, ob man russische Werke überhaupt aufführen oder kategorisch aus der Kulturlandschaft ausschließen sollte. An dieser Stelle lassen wir offen, inwieweit ANASTASIA als amerikanische Musical tatsächlich ein russischer Stoff ist. Dennoch, die Frage, ob man Russland überhaupt in öffentlicher Kultur abbilden will, hat seine Berechtigung. Unsere Meinung dazu ist, dass wir das Stück nicht ausschließen sollten, nur weil es in Russland spielt und einen Teil russischer Geschichte (stark vereinfacht, ungenau und inkorrekt als Basis für eine Märchengeschichte) verhandelt. Viel wichtiger ist, wie das Stück auf die aktuelle politische Situation bezogen werden kann und dass es auf keinen Fall Stellung für die aktuelle imperialistische Politik Russlands bezieht.
Da macht es uns Putins Propaganda zugegebenermaßen nicht ganz einfach. Er bezieht sich in vielen Punkten einfach auf das, was ihm gerade passt und seine imperialen Ambitionen legitimiert. Elchaninoff schreibt dazu: „Wladimir Putin ist schließlich und vor allem eines: Realist. Er legt keinen Wert darauf, an irgendein ideologisches Joch gekettet zu werden, seinen Diskurs passt er den jeweiligen politischen Umständen an. Er möchte die Initiative behalten.“ (Elchaninoff, S. 10) Mal romantisiert er das Russische Reich unter Zar Alexander, mal bezeichnet er den Zerfall der Sowjetunion als größte global-politische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Dabei sind das zwei grundlegend verschiedene Zeiten und vor allem waren das Zarenreich und die Sowjetunion zwei sich gegenüberliegende Regime. Dazu kommt, dass nicht nur Putin sich historisch unreflektiert diversen Thematiken bedient: Auch das Stück selbst ist nicht wirklich historisch. Es gibt einzelne Elemente, die historisch akkurat sind. Das sind aber vor allem vereinzelte Orte. Im Großen und Ganzen ist die Geschichte ein Märchen im Kontext des Zarenreichs.
Das bringt uns zu der, unserer Meinung nach, größten Problematik des Stücks. Putin romantisiert das Zarenreich, um den damit zusammenhängenden Imperialismus zu romantisieren und damit seine Großmachtsfantasien zu legitimieren. “Wladimir Putin hat diesen Krieg schon länger argumentativ vorbereitet, mit geschichtlichen Argumentationssträngen, die einem großrussischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts entspringen” (Kusber, S. 43). Dass er dabei wenig wissenschaftlich vorgeht, wurde uns in beiden Fachgesprächen deutlich gemacht. “Er [Putin] setzt sich dabei von dem ab, was in Russland, aber auch international wissenschaftliche Konsens gewesen war, und bot eigene Interpretation an [...]” (Kusber, S. 50). Dennoch, auch das Stück romantisiert in Teilen das Zarenreich und kann somit nicht vollends getrennt von Putins Propaganda gesehen werden, weshalb wir auf diese Punkte im Aufführungskontext explizit aufmerksam machen möchten: zum Beispiel durch eine geschlossene Einführung für das Publikum. Was uns wichtig ist: Das Stück nimmt keinen Bezug zum Imperialismus. Im Stück geht es mehr um eine persönliche Identitätssuche der Zarentochter in einem fiktionalisierten historischen Kontext und nicht um eine öffentliche und politische Annahme dieser Identität und der daraus resultierenden “Wiederauferstehung” der Zarenfamilie. Das Musical steht durch diese Romantisierung von Monarchien in alter Disney-Manier. Dass es sich gerade um die Romantisierung der russischen Monarchie handelt, ist durch die aktuelle politische Lage selbstverständlich kritischer zu betrachten als die Romantisierung einer nicht näher definierten Herrscher-Familie.
Während das sowjetische Regime pars pro toto an Hand der Rolle Gleb durchgängig Kritik ausgesetzt wird, wird in einem der letzten Sätze des Stücks der Romantisierung des Zarenreichs adressiert und ein Ende gesetzt: “[...] bitte keine Erwähnung mehr der Großfürstin Anastasia Romanowa. - In der neuen Gesellschaft gibt es keinen Platz für Märchen. Der Fall wird zu den Akten gelegt.” Anastasia findet zwar ihre Identität. Jedoch führt das eben nicht zur Wiederherrschaft der Zarenfamilie. Im Gegenteil: Anastasia beginnt ein unauffälliges Leben mit Dimitri und die Zarenmutter hält das Märchen der Romanows nicht mehr weiter am Leben. Aber trotzdem ist es nicht irgendeine Person, die nach ihrer Identität sucht. Es ist die Tochter des letzten Zaren. Wenn Putin die Auferstehung des russischen Imperiums heransehnt, ist es nicht unproblematisch zu sehen, dass die Zarentochter Anastasia zwar nicht aufersteht, aber überlebt und zu ihrer Identität zurückfindet. Auch wenn sie ihre Identität letztendlich nicht annimmt; was bleibt, ist, dass eine Romanowa noch am Leben ist. Was bleibt, ist ein Überbleibsel des russischen Zaren-Imperiums. Möchte man das? Was wiegt am Ende stärker? Wirkt es stärker, dass Anastasia noch am Leben ist und somit nicht alle Romanows gestorben sind oder wirkt stärker, dass sie eben keine Macht haben möchte?
Schade ist, dass vor allem der Sowjetische Offizier Gleb die stärksten Argumente gegen die Romanows und das Zarenreich liefert. Jedoch nimmt man diese leider nicht in der Relevanz war, die sie haben, da er der Antagonist des Stücks ist.
Übrig bleibt eine große Abwägung. Die Hauptgründe für dieses Stück sind keine tiefergehende politische Botschaft, wie es bei früheren Inc-Stücken teilweise der Fall war. Wir haben uns für das Stück entschieden, weil uns die Geschichte und die Musik reizen. Außerdem ist das Stück auf vielen Ebenen anspruchsvoll und macht die Arbeit somit interessanter. Aber kann das den Zynismus aufwiegen, der es bedeutet, ein Stück über Russland aufzuführen, während weiterhin gegen die Ukraine Krieg geführt wird? Können wir überhaupt genug tun, um diesem Stück einen Rahmen zu geben, der diesem Zynismus entgegenwirkt und womöglich einen aufklärerischen Rahmen hat? Das bleibt letztendlich jedem selbst überlassen. Wir haben uns dafür entschieden, das Stück mit Fingerspitzengefühl aufzuführen und trauen uns das zu.
Gerade Theater kann und muss einen Raum bieten, in dem eine Auseinandersetzung mit kritischen Stoffen gefördert wird. Damit meinen wir nicht, dass unsere Inszenierung einen rein aufklärerischen Charakter hat – soweit würden wir nicht gehen. Wir stecken allerdings alle unsere Ressourcen hinein, dass es neben dem reinen Unterhaltungswert auf keinen Fall die verachtenswerte imperialistische Politik Putins unterstützt und dass sich die Zuschauer:innen mit den kritischen Punkten auseinandersetzen müssen.
Was werden wir tun?
Wir sehen es als unsere Aufgabe, der Aufführung einen entsprechenden Rahmen geben. Es ist vollkommen legitim, die Aufführung des Stücks dennoch kritisch zu sehen. Es kritisch zu sehen heißt aber auch, dass bereits eine Auseinandersetzung mit dem Thema stattgefunden hat. Uns ist im Zuge der Aufführung wichtig, vor allem den Personen Kontext zu bieten, die sich zuvor noch nicht intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Wir haben bereits viele Ideen, wie wir unser Publikum auf die Problematiken aufmerksam machen, damit sie eben diese erkennen und sie für sich einordnen können. Letztendlich ist unsere Hauptaufgabe, zu verhindern, dass Zuschauer:innen eine pro-russische Haltung aus dem Stück ziehen. Unserer Meinung nach kann das gelingen.
Wir möchten keine Gefühle verletzen - werden es mit der Stückwahl aber vermutlich trotzdem tun. Sollte die Konsequenz daraus sein, das Stück nicht aufzuführen oder bietet eben die aktive Auseinandersetzung damit auch eine Chance für Diskurs? Diskurs zu dem auch kritische Stimmen gehören können. Wir haben unsere Meinung. Wir möchten das Stück aufführen. Wir möchten dem Stück einen Rahmen geben, der die Problematiken auffängt. Wir haben uns für das Stück entschieden und wir werden unser Bestes geben, dem Stück und der aktuellen Situation gerecht zu werden.
Anastasia Bewegung
Uns ist bewusst, dass es eine rassistische, antisemitische und verschwörungstheoretische "Anastasia-Bewegung" gibt. Die Bewegung bezieht sich auf Schriften des Autors Wladimir Megre, die zwischen 1996 und 2010 erschienen. Sie bezieht sich nicht auf die Zarentochter Anastasia Romanowa und hat somit keinen Bezug zu diesem Stück. Selbstverständlich distanzieren wir uns von der Anastasia-Bewegung, auch wenn sie abseits des Namens (der einer der häufigsten russischen Frauennamen ist) nichts mit dem Musical zu tun hat.
Das Wichtigste
Abschließend ist uns wichtig zu sagen: Wir als Musical Inc. solidarisieren uns mit dem ukrainischen Volk und gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Zudem werden wir im Rahmen dieses Stückes Spenden für die ukrainische Flüchtlingshilfe sammeln. Weitere Informationen hierzu folgen bald.
Bei Fragen zur Stückwahl schreibt uns gerne eine Nachricht an kontakt@musicalinc.de.
Literatur
Eltchaninoff, Michel (2022): In Putins Kopf. Logik und Willkür eines Autokraten. Stuttgart: Tropen [2017].
Hofen, Mathias von (o.J.): Zarenreich und Februarrevolution 1904-1916. Wie kam es zur Oktoberrevolution? https://www.lpb-bw.de/februarrevolution-1917 (01.12.2023).
Kappeler, Andreas (2023): Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: C.H.Beck [2017].
Kusber, Jan (2022): Russlands Krieg gegen die Ukraine. Eine historische Einordnung. In: geschichte für heute. zeitschrift für historisch-politische bildung, Jg. 15, Nr. 4, S. 43 - 54.
Update vom 06.02.2024: Der Text wurde überarbeitet und die Problematik wurde stärker herausgearbeitet.
Update vom 20.01.2024: Im Ursprungstext resümierten wir, dass Paris als Ort der Demokratie siegt. Diesen verkürzten Gedanken, haben wir auf Rückmeldung weiter ausgeführt und klarer als unsere Interpretation des Stoffes markiert.
Mit freundlicher Unterstützung von: